Mit feinen Antennen

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Mit feinen Antennen | Meine Hochsensibilität

Als Leonie vom Kipcast mich anschrieb und um ein Interview bat, musste ich nicht lange überlegen. Klar, sehr gerne, schrieb ich zurück und freute mich über die Möglichkeit, mal wieder über „mein“ Thema – Hochsensibilität – reden zu können. Als sie mir vorab ihre Fragen mailte, war ich kurz irritiert, da mir die Antworten gar nicht so leicht fielen. Ich wollte mir Zeit dafür nehmen und nicht die üblichen Floskeln in das Interview bringen. Aber tatsächlich hatte ich Probleme meine Gedanken zu ordnen und mit meinen Erfahrungen in Einklang zu bringen. 

Ich lebe damit, schon seit meiner Kindheit. Bewusst wurde mir das erst spät, beziehungsweise erst vor einigen Jahren gab es eine Erklärung für meine feinen Antennen. Vorher fand ich mich einfach auch „zu empfindsam“, dünnhäutig, extrem schnell alarmiert und wusste nicht wovon. Lästig war das, mal mehr mal weniger. Meine Fantasie kannte und kennt keine Grenzen. Doch plötzlich stelle ich fest, dass ich mich an vieles davon gewöhnt habe. Es ist ein Teil von mir geworden, den ich nicht mehr wirklich hinterfrage. Etwas beunruhigt dachte ich, ist sie etwa verschwunden – meine Hochsensibilität? Das wäre ein Verlust. Definitiv.

Entwarnung – HS verschwindet nicht einfach

Und doch musste ich länger überlegen, was meine Gabe aktuell eigentlich ausmacht. Wie ein Aha-Erlebnis, kam mir dann die Einleitung von Leoni, beim ersten Anhören ihres Podcasts vor. HSP (Hochsensible Personen) haben öfter Schwierigkeiten sich zu erklären, die richtigen Worte und Sätze zu finden und diese dann so wiederzugeben, wie sie das gerne möchten. Das ist etwas, was mich auch begleitet und was ich eher als belastend empfinde. Wahrscheinlich schreibe ich deswegen auch so gerne. Denn möglicherweise denkt mein Gegenüber, dass ich nicht ganz auf der Höhe bin, wenn meine kryptischen Antworten wieder länger brauchen. Und auch das ist ein Merkmal: die Grübelei danach, die späten Antworten, der richtige Moment. Das bin ich. Als ich das nochmal so klar hörte, musste ich lachen. Ja, das bin ich! 

Somit habe ich bei meiner Vorstellung und den weiteren Fragen von Leoni wohl an vieles gedacht und einen Knoten in meinen Kopf gezaubert. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Pech gehabt, jetzt ist alles im Netz. No return. Ich könnte mich natürlich dafür “schämen” und hoffen, dass keiner es merkt. Was für ein Quatsch, denke ich. Mit dem Alter werde ich dann doch sanfter mit mir. Aber genau das ist es, was wir Hochsensiblen gerne machen, wir verzeihen uns wenig bis nichts. Zumindest kenne ich das aus einigen Coaching Gesprächen. Wir pflegen unseren Perfektionismus. Dabei bin ich alles andere als perfekt! Es ist enormer Stress für mich, diesen Zustand herzustellen, den es eigentlich gar nicht gibt. Und genau das, kommt mir des Öfteren in die Quere. Dabei mag ich doch genau das Gegenteil, dieses Verletzliche und Authentische. Menschen, die so sind, wie sie sind. 

Das schöne Wörtchen: Selbstliebe

Dieses Wort kommt mir dann in den Sinn und ich versuche gleich meine Seele zu streicheln. Ich liebe mein Leben und auch mein Leben mit HS. Was wäre ich ohne? Es wäre weniger bunt, weniger intensiv, weniger Tränen, aber auch weniger überwältigende Momente, weniger Herzblut, weniger Liebe für alle und alles, was ich schätze. Die Schwingungen, die mich manchmal ganz schwindelig machen, haben mir schon so oft den richtigen Weg gezeigt. Auch, wenn ich das erst viel später verstanden habe. Freiheit und Gerechtigkeit sind mächtige Schlagworte, die mich triggern und wo mir meine Emotionen öfter mal durchgehen. Ja, Emotionen, sie können bei Menschen mit HS in andere Dimensionen schießen. Diese zu kontrollieren fällt mir schwer. Das ist meine ganz persönliche Challenge. Und sie wird mit dem Alter nicht leichter … 

Selbstliebe. Und wenn man sie einmal gefunden hat, dann wird die Seele leichter. Besonders gut pflegen lässt sie sich in der Stille, in der Natur. Da, wo wir uns am nächsten sind. Wo liegen wohl unsere Wurzeln? Nicht in der Stadt und wenn doch, dann eher unter ihrem Asphalt. Unser Ursprung kommt nicht aus einer Ansammlung von Menschen und technischen Errungenschaften. Nein, sie liegt im archaischen, da wo alles begann. Und doch verlieren wir Menschen immer mehr den Zugang zu unseren Wurzeln. Wahrscheinlich spüren wir uns deswegen auch immer weniger und gehen auf die Suche. Ein Paradoxon. Wie sollen wir uns selber lieben, wenn die Gesellschaft uns immer wieder erzählt, wie falsch wir sind und wie wir zu sein haben? Ich kenne so viele Personen, die genau diese Fragen stellen, aber ich habe das Gefühl, dass wir nicht die richtigen Antworten bekommen. Wir wünschen uns Langsamkeit, Stille, Geborgenheit und bekommen Hektik, Krach und Distanz. 

Feine Antennen sind in dieser Welt Fluch und Segen zugleich. Einerseits können Sie mich/uns warnen, schützen und über vieles, was unter der Oberfläche liegt, informieren. Andererseits bekommen wir ungefiltert Reize in unser Nervensystem geliefert, die sich nicht mehr adäquat verarbeiten lassen und ihren Tribut fordern. Anspannung, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schmerzen, Aggression, Überdrehen und so weiter. Der Körper fordert nur das, was er braucht. Erholung von der Übermacht an Informationen und Eindrücken. Ich bewundere die Menschen, die scheinbar mit Leichtigkeit das alles zur Seite schieben und keine weiteren Einschränkungen erleben. Oder ist es ihr Perfektionismus nicht zu straucheln, nicht schwach zu sein? Eine Hightech-Gesellschaft, die sich wie Roboter optimieren lässt, von der inneren, oder eher äußeren Stimme. Ich weiß, das ist zu hart, aber manchmal macht mir das Angst. Unsere Welt ist so unecht geworden. 

Mit allen Sinnen fühlen

Wenn ich in kaltes Wasser eintauche, habe ich das Gefühl, dass meine Haut explodiert. Straßenlärm kann mich manchmal so in Stress versetzen, dass ich Schwierigkeiten mit der Atmung bekomme. Zu viele Sinneseindrücke auf einmal setzen mich Schachmatt. Mit Gerüchen könnte man mich foltern und mein ästhetisches Auge spielt mir manchmal übel mit. Das hört sich verrückt an? Dies alles können Merkmale von HS sein. Ich bin mir dessen vollkommen bewusst, dass manche Menschen denken, diese Frau ist hysterisch. Und manchmal ist es auch so, aber es liegt am fehlenden Filter und der Reizüberflutung. Wer würde da nicht irgendwann überreagieren? Trotzdem ist das ein großer Unterschied zu reiner Hysterie.

Ein schönes Beispiel, diese ganzen „Einschränkungen“ wett zu machen, habe ich heute erlebt. Ich war mit meiner Hündin Lykke im Wald und wenn wir dort unterwegs sind, tut sich ganz oft eine magische Welt auf. Wir beide verschmelzen in den Farben, Gerüchen und Geräuschen, die alles andere als aufgeregt sind. Hier spüre ich ganz deutlich, was Wurzeln bedeuten und können. Nicht auf den festen Wegen laufend, sondern ab davon, aber mit viel Sensibilität für diese Welt aus den verschiedensten Organismen. Und auf einmal riecht es nach Zuckerwatte. Mein Herz macht einen Satz und ich freue mich, wie ein Kind darüber. 

Bildquelle: Taryn Elliott / Pexels

Plötzlich sehe ich inmitten der Bäume ein Riesenrad stehen und weiß ganz genau, wie sich das anfühlt auf einer Kirmes. Meine Fantasie hat Flügel bekommen. Lykke bemerkt meine Euphorie und freut sich mit mir. Sie saust durch die Bäume, wie ein Pfeil. Dann kommt sie zurück und lässt sich ein paar Sekunden kraulen. Ich glaube, sie weiß um meine Liebe zur Natur und genau das verbindet uns ganz oft. Das ist ein gemeinsamer Nenner über den wir immer wieder Kontakt zueinander finden. Läuft ein Tag mal völlig aus dem Ruder, dann weiß ich, es ist Zeit für den Wald. Er wartet schon auf uns. Natur hilft meiner Resilienz.

Hochsensibilität ist ein bisschen auch wie Magie. Sie kommt und geht. Mal ist sie ganz bewusst und manchmal liegt sie da, wie ein ruhiger, dunkler See. Man kann sie verfluchen oder lieben. Was ist wohl die bessere Alternative? Sie anzunehmen, kann schon vieles leichter machen. Sich gegen sie aufzulehnen ist schwierig, denn so wird man sie gewiss nicht los. Mein Vater war meiner Meinung nach auch hochsensibel und ich glaube, er hat oft unbewusst dagegen gekämpft, denn er fühlte sich schwach und hilflos in manchen Momenten. Dafür polterte er gerne sehr laut und war doch so ein herzensguter, empathischer Mensch. 

Mit meiner Gabe (in Frieden) leben

So handhabe ich es. Ich lehne mich nicht dagegen auf und denke, ich bin falsch. Ich gehe aber auch nicht hausieren damit und erwarte mir von anderen Credit Points. Etwas, was mich öfter umtreibt ist die späte Rückmeldung von mir lieb gewonnenen Menschen, die mir plötzlich ihren Rücken zudrehen. Frage ich nach, kommt selten oder keine Antwort. Und meist ist es die gleiche: “Du siehst mich gar nicht mehr!“ 

Was bedeutet das eigentlich? Wen könnte ich übersehen, der mir so am Herzen liegt? Oft sind es Menschen, die selber sehr feinfühlig sind. Und manchmal denke ich dann, zwei so sensible Menschen können nicht die Freundschaft führen, die sie sich vielleicht vorgestellt haben. Bei meinen Coachings ist das ab und zu Thema bei Paaren. Und ich denke, auch bei Befreundeten kann das durchaus eine Rolle spielen und zu Spannungen führen. Zu ähnlich, oder zu verschieden. 

Wir Menschen mit HS brauchen unheimlich viel Aufmerksamkeit für uns selber und diese ist sehr oft mit enormen Kraftaufwand verbunden. Ich möchte klarstellen, dass ich damit nicht meine, dass wir es toll finden, uns nur um uns selber – und das ständig – zu drehen! 

Wir überladen uns gerne und wenn wir dann merken, das war eigentlich schon wieder zu viel, dann müssen wir raus aus der Nummer. Sonst wird es unangenehm. Dass dies häufig falsch ankommt oder negativ interpretiert wird, kommt nicht selten vor. Aber darüber kann ich reden und sollte es auch, damit eben nicht dieser falsche Eindruck entsteht, dass ich mir selbst immer der, oder die nächste bin. Sicher muss ich besser auf mich aufpassen, als andere. Punkt. Gleiche Bedürfnisse. Verschiedene Wertung.

Be kind.

Zwei Wörtchen mit ganz viel Bedeutung. Sind wir gut zu uns, sollten wir doch auch in der Lage sein, anderen mit dem gleichen Verständnis für ihre Eigenheiten zu begegnen. Aber ich fürchte, dies ist noch ein langer Weg. Hochsensibel zu sein, heißt nicht automatisch immer nett und demütig zu sein. Oft schafft man es ja nicht mal bei sich selbst … Trotzdem bleibe ich dabei, dass Hochsensibilität etwas sehr sehr schönes und liebenswertes ist, mit allen Höhen und Tiefen. Und wie ich es am Ende bei Leonie im Kipcast gesagt habe:  

Wir sollten “einfach” leben und es uns so schön wie möglich machen.

Wie immer in meinen Beiträgen, schreibe ich über meine eigenen Erfahrungen und Empfindungen. Es liegt mir fern damit zu werten, oder über andere zu urteilen. Das Thema HS ist breit gefächert und jeder erlebt es anders. Ich hoffe, das ist deutlich geworden. Und natürlich freue ich mich über eure Rückmeldung und Gedanken zu meinem Beitrag. Noch mehr, wenn ihr ihn in eurem Netzwerk teilt. ♡
 


 
 

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